In der Entwicklung eines Kunststoffproduktes spielt die Materialwahl eine zentrale Rolle. Diese beeinflusst nicht nur die Eigenschaften des späteren Bauteils und der Anwendung, sondern auch den ganzen Herstellungsprozess von der Werkzeugauslegung bis hin zur Produktion. Wird das Material anwendungsgerecht ausgewählt, können hohe Kosten eingespart und aufwändige Werkzeugänderungen vermieden werden.
Sind Anwendung und Funktion eines Bauteils bekannt, kann auch ein anwendungsgerechter Werkstoff definiert werden. Dies hat nicht nur Einfluss auf die Kosten und Eigenschaften des Bauteils, sondern auch auf den ganzen Entwicklungsprozess bis hin zur Werkzeugauslegung und dem Herstellungsprozess. Doch wie wird ein anwendungsgerechter Werkstoff gefunden? In diesem Beitrag zeigen wir, wie anhand der Informationen in einem Datenblatt geeignete Werkstoffe ausgewählt werden können.
Bauteileigenschaften, Randbedingungen
Als Anwendungsbeispiel dient ein einfaches Rückschlagventil, wobei das Gehäuse aus einem Kunststoff realisiert werden soll. Über die Anwendung sind folgende Randbedingungen bekannt:
- Innendruck: 20 bar
- Temperatur: 100°C
- Medium: Wasser
Rückschlagventil
Im beschriebenen Fall sind es vor allem die mechanischen, thermischen und hydrolytischen Eigenschaften welche für die Materialevaluation wichtig sind.
Mechanische Eigenschaften
Als erste Vergleichsbasis dienen Steifigkeit, Zugfestigkeit und Bruchdehnung. Sie werden an einem genormten Prüfkörper in einem Zugversuch ermittelt. Der im Datenblatt aufgeführte Ein-Punkt-Wert des Zugmoduls entspricht der Steigung zwischen 0.05% und 0.25% Dehnung und wird auch als Ursprungsmodul bezeichnet. Je nach Belastungshöhe weicht dieser mehr oder weniger stark von der realen Steifigkeit ab und soll somit mehr als grundlegendes Vergleichskriterium und nicht als Auslegungsgrundlage verstanden werden.
Spannungs-Dehnungsdiagramm mit Ursprungsmodul
Die mechanischen Eigenschaften sind je nach Kunststoff stark von Temperatur, Belastungsgeschwindigkeit und der Feuchtigkeit abhängig. So können Steifigkeit, Festigkeit und Bruchdehnung stark von den Datenblattwerten abweichen.
Spannungs-Dehnungsdiagramm mit Temperatureinfluss
Ähnlich verhält es sich mit dem Feuchtigkeitsgehalt und der Belastungsgeschwindigkeit. Diese Abhängigkeiten sind zwingend zu berücksichtigen. Wenn detaillierte Angaben in den verfügbaren Datenblättern fehlen, muss über Quervergleiche und Erfahrungen eine entsprechende Abminderung abgeschätzt werden. Es kann durchaus sein, dass sich zwei Kunststoffe bei 23°C ähnlich sind, sich aber die Eigenschaften bei erhöhter Temperatur deutlich voneinander unterscheiden. Bei hohen mechanischen Anforderungen werden oft Verstärkungsstoffe eingesetzt. Dies können Glas- oder auch Kohlefasern sein, die bereits im Granulat enthalten sind und so auch im Spritzguss verarbeitet werden können. Mit Einsatz von Verstärkungsstoffen werden deutlich höhere Steifigkeiten und Festigkeiten erzielt als bei unverstärkten Werkstoffen. Die Bruchdehnung nimmt mit steigendem Fasergehalt jedoch signifikant ab.
Spannungs-Dehnungsdiagramm eines handelsüblichen PA66
Die im Datenblatt beschriebenen Werte sind auch bei verstärkten Kunststoffen zu Vergleichszwecken gut geeignet. Der Einfluss der Orientierung wird aber gänzlich ausgeklammert. So können mechanische Eigenschaften desselben Kunststoffes stark variieren, je nach dem, in welche Richtung die Belastung zur Faserorientierung steht. Die genormten Prüfstäbe weisen durch den Herstellungsprozess eine hohe Faserorientierung auf. Eine solch hohe Orientierung wird nur in Ausnahmefällen in einem Bauteil erreicht. Würde man den dokumentierten Spannungs-Dehnungsverlauf gemäss Datenblatt, bzw. genormten Zugversuch für die Bauteilauslegung verwenden, käme es zu einer erheblichen Überschätzung der tatsächlich Bauteileigenschaften. Dieser Einfluss kann jedoch mit Hilfe entsprechender CAE-Tools berücksichtigt werden und so die Bauteilqualität bereits während der Entwicklungsphase auf das nächste Level gehoben werden.
Thermische Eigenschaften
Damit das Ventil dicht bleibt, ist auch die Gestaltänderung aufgrund der herrschenden Bedingungen zu berücksichtigen. Höhere Temperaturen in der Anwendung bewirken eine Längenausdehnung. Da diese im Vergleich zu Stahl meistens deutlich höher ist, kann es vor allem in Kombination verschiedener Werkstoffe zu einem Einfluss auf die Funktion oder gar zu Bauteilversagen führen.
Andere Eigenschaften
In Zusammenhang mit Wasser ist vor allem bei Polykondensaten Vorsicht geboten. Bei deren Produktion wird Wasser abgespalten, welches in der Anwendung wieder aufgenommen wird. Dies hat nicht nur einen Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften, sondern bewirkt auch ein Quellen des Bauteils, was ebenfalls Einfluss auf die Funktionsbedingungen haben kann. In den Datenblättern ist zwar angegeben wieviel Wasser bzw. Feuchtigkeit ein Kunststoff aufnehmen kann. Konkrete Angaben werden in Datenblättern jedoch oftmals nicht gemacht und müssen beim Rohstoffhersteller erfragt werden oder in Bauteilversuchen explizit ermittelt werden.
Datenblätter – ein Mittel zur Vorauswahl
Für eine optimale Materialwahl müssen im Vorfeld alle Anforderungen und der Einsatzbereich des Bauteils klar definiert werden. Anschliessend können einzelne Punkte mit Hilfe der Datenblätter miteinander verglichen und eine Vorauswahl getroffen werden. Zur Auslegung des Bauteils und zur abschliessenden Materialdefinition sind weiterführende Informationen nötig, die zwar nicht im Datenblatt enthalten, aber auf gängigen Online-Plattformen oder direkt beim Hersteller erhältlich sind.
Bei Entwicklungsfragen steht Ihnen die CIMCOM Engineering AG mit grossem Engagement zur Seite. Fragen rund um Kunststoff / Heisskanaltechnik beantwortet Ihnen gerne die Firma SOTECH Plastics AG.
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Dieser Beitrag wurde verfasst von Stefan Veraguth, Entwickler und Konstrukteur, CIMCOM Engineering AG
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